die „literarische fauna“ auf capri und in neapel

die sehnsucht nach „einem der schönsten orte der welt“ (d.h. lawrence) beginnt in der neuzeit mit der entdeckung der blauen grotte durch den maler august kopisch. abenteuerlustig streifte der junge mann aus breslau im august 1826 über die seit der antike von fremden kaum beachtete insel und ließ sich von einem auf capri lebenden notar für eine nur von der seeseite aus zugängliche grotte begeistern. natürlich wußten die einheimischen auch damals bereits von der existenz dieser von meerwasser durchspülten kalksteinhöhle. doch fürchteten sie sich vor der grotte als einem ort des teufels, denn die in diesem natürlichen wasserbecken vom meeresgrund heraufglitzernden lichtspiele hatten die inselgeistlichen jahrhundertelang als einen spuk böser geister gedeutet. kopisch, der die grotte mutig mit einer brennenden pech-pfanne schwimmend auskundschaftete, kam sofort hinter das geheimnis der phosphorblau leuchtenden wellen: durch eine breite, unter wasser liegende öffnung in der äußeren felswand dringt das von oben schräg einfallende tageslicht in die grotte, spiegelt sich am hellen sandgrund wider und strahlt in einem übernatürlichen blau von unten herauf.

weil kopisch sich in dieser zeit seinen lebensunterhalt in kampanien als cicerone, also als fremdenführer, für wohlhabende deutsche reisende verdiente, machte er die einzigartige grotte sofort zum höhepunkt seiner touren am golf von neapel. gleichzeitig schwärmte er auch in der deutschen künstlerkolonie in rom von dem magischen blau. zu seinen freunden dort zählten zahlreiche schriftsteller, die, wie in der zeit der romantik üblich, ihre sehnsucht nach dem süden mit seinem milden klima und der besonderen lebensfreude seiner einwohner in einem längeren italien-aufenthalt auslebten.

zuerst berauschten sich am tiefen blau der grotte die mit kopisch befreundeten schriftsteller aus deutschland, darunter august graf von platen und wilhelm waiblinger. ihre gedichte und erzählungen lockten weitere deutsche autoren an, die sich ebenfalls von capri inspirieren ließen. so entstand im 19. jahrhundert rasch eine begeisterung für diese so bezaubernde insel, auf die sich die sehnsüchte der deutschen seele nach sonne, meer und palmen damals wie heute herrlich projizieren lassen.

der mythos capri ist also in erster linie eine deutsche erfindung. erst gegen ende des 19. jahrhunderts bereisten auch schriftsteller aus frankreich, england, rußland und im 20. jahrhundert aus anderen teilen italiens die insel. viele von ihnen, roger peyrefitte, graham greene, alberto moravia und elsa morante zum beispiel, kehrten immer wieder zurück. andere, wie norman douglas, francis brett young oder curzio malaparte, bauten sich hier ein eigenes haus und lebten längere zeit auf capri. denn „die insel hat das gefährliche, daß man, einmal gekommen, sich nicht wieder loszureißen vermag“, wie es der literaturkritiker und philosoph walter benjamin ausdrückte, nachdem er seine abreise im sommer 1924 mehrmals aufgeschoben hatte.

eine ebenso dichte „literarische fauna“ zeigt sich im laufe der jahrhunderte auch in der hafenstadt neapel. doch hatten die schriftstellerinnen und schriftsteller meist ein anderes motiv für den besuch dieser stadt: während sie auf capri in einen einzigartigen mikrokosmos eintauchten und ein kleines paradies für sich eroberten, bewegten sie sich in der stadt neapel vorwiegend als voyeure. vor allem in den gassen der altstadt waren sie gefesselt vom anblick „der elenden, schmutzigen, verhungerten, in lumpen gekleideten ... volksmassen“ (curzio malaparte). als typisches phänomen erlebten sie auch die für neapel bereits seit dem 19. jahrhundert charakteristische geräuschkulisse. den „unerträglichen straßenlärm“ (fanny mendelssohn).

viele nutzten die stadt als zwischenstation auf ihrer reise nach capri, sizilien oder an die amalfitanische küste. attraktiv war neapel seit dem späten 18. jahrhundert auch als ausgangspunkt für tagesausflüge in die antike stadt pompeji oder auf den vesuv, der die touristen noch bis 1944 durch spektakuläre ausbrüche beeindruckte.

im mittelpunkt der folgenden sieben spaziergänge stehen schriftstellerinnen und schriftsteller, deren reisen nach capri und neapel unzählige spuren vor ort und in ihrem werk hinterlassen haben. ergänzend werden auch einzelne komponistinnen und komponisten, malerinnen und maler porträtiert. wenn der weg an bedeutenden sehenswürdigkeiten vorbeiführt, sind auch diese erwähnt. da die gäste auf capri sehr oft ihren wohnsitz gewechselt haben, empfiehlt es sich, nicht nur punkt für punkt den spaziergängen zu folgen, sondern anhand der querverweise die einzelnen biographien zu vervollständigen.

die spaziergänge auf capri sind als rundgänge angelegt. sie beginnen und enden an der beliebten piazza oder piazzetta, wie der platz umberto I genannt wird, und dauern zwischen zwei und drei stunden. mit ausnahme des fünften spaziergangs führen sie vorwiegend über autofreie straßen und wege. charakteristisch dabei sind die – oft unvermuteten – ausblicke über die insel und auf das meer. es lohnt sich, mit offenen augen durch die gassen zu gehen und dabei auch rechts und links in die gepflegten gärten und in die oft entzückend gestalteten villeneingänge zu blicken. typisch für das capresische kunsthandwerk sind die hübschen majolikakacheln mit den handgemalten aufschriften, die uns überall den weg weisen.

der erste spaziergang auf capri, der uns zunächst zu dem beliebten belvedere tragara und dann durch das historische zentrum der gemeinde capri bringt, führt unter anderem zum ältesten hotel der insel, in dem im 19. jahrhundert die meisten schriftsteller wohnten.

der zweite spaziergang ist vor allem einsam gelegenen villen gewidmet, die, wie die casa malaparte, außerhalb der gemeinde capri in einer beeindruckenden mediterranen küstenlandschaft zu finden sind. über viele treppenstufen steigen wir von dem erhöht gelegenen ortsteil matermania hinunter zur gleichnamigen grotte.

der dritte spaziergang führt uns hinauf zu den resten der antiken villa jovis. wieder passieren wir zahlreiche hotels und villen, in denen schriftstellerinnen und schriftsteller gelebt haben. die spektakuläre villa lysis des adligen dichters jacques d’adelswaerd fersen können wir auch von innen besichtigen.

der vierte spaziergang geht über viele treppenstufen hinunter in die pittorreske marina piccola.

nach einem abstecher zu einigen interessanten villen auf dem hügel castiglione bringt uns der fünfte spaziergang zum hafen marina grande. mit dem boot erreichen wir die blaue grotte.

in anacapri führt uns der sechste spaziergang zuerst zu axel munthe’s bekanntem traumhaus, dem schwedischen museum villa san michele, ehe wir auf einem bequemen rundweg zu den wohnstätten anderer bedeutender persönlichkeiten schließlich den historischen kern der sogenannten oberstadt erleben.

auf unserem siebten und letzten spaziergang lernen wir das noble chiaia-viertel von neapel und den historischen kern der stadt kennen. weil sich diese beiden viertel entlang der küste von neapel erstrecken, vollendet sich unser letzter spaziergang zu den entscheidenden palästen und häusern nicht zu einem rundweg. doch finden wir am anfangs- und endpunkt immer öffentliche verkehrsmittel.

bei den recherchen für dieses buch, die insgesamt fast fünf jahre dauerten, konnte ich meine zahlreichen kontakte nutzen, die ich durch meine arbeit vor ort als seit 1994 – auf capri und in neapel – lebende journalistin aufgebaut habe. so war es möglich, neben öffentlichen bibliotheken auf capri wie dem centre caprense ignazio cerio (mein dank gilt vor allem der bibliothekarin carmelina fiorentino) und dem centro archivistico e documentale (ohne das vielfältige wissen von enzo de tuccio und giuseppe aprea würden wichtige details aus der geschichte der insel fehlen), auch einblick in bisher noch unbekannte privatarchive zu bekommen wie zum beispiel in die sicher größte bibliothek zum thema capri, die der kunsthistoriker dr. peter tigler in drei jahrzehnten aufgebaut hat. einmalig ist auch das archiv der schriftstellerin claretta cerio in ambra in der toskana. ihre erinnerungen an ihren alltag auf capri unter schriftstellern und künstlern in der mitte des 20. jahrhunderts und ihre fotografien waren ebenfalls eine einzigartige quelle für meine recherchen. auch giovanni schettino, einer der unermüdlichen inselforscher, unterstützten meine arbeit durch zahlreiche informationen und vor allem durch seine breit angelegte fotosammlung. ihnen allen gilt mein aufrichtiger Dank.

stefanie sonnentag

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