wo weilte nietzsche, wo lebte brecht und wer entdeckte die
blaue grotte?

die journalistin und kunsthistorikerin dr. stefanie sonnentag
schrieb „spaziergänge durch das literarische capri und neapel“

wenn man aus dem saale herauskommt, tritt man auf einen balkon, auf dem sich dem auge eine vortreffliche ansicht darstellt, indem man die ganze insel wie ein amphitheater, und gegenüber ganz neapel übersieht. norbert hadrawa nannte ende des 18. jahrhunderts den palazzo canale auf capri im damals üblichen pathos so. hadrawa war österreichischer altertumsforscher und sekretär der österreichischen botschaft in neapel. genaue adresse des prachtbaus: via lo palazzo 24 in marina grande. hadrawa begleitete ferdinand IV zur wachteljagd nach capri. der volksmund nennt den staatlichen steinernen augenfang heute auch „palazzo inglese“, englischer palast.

ein kleines, aber feines beispiel aus der gargantua –, der riesenarbeit einer gmünder, genauer: einer mutlanger autorin. es stammt aus ihrem „vierten spaziergang“, betitelt: „licht aus der tiefe des meeres“. in dem geht es um den hügel castiglione, marina grande und die weltberühmte blauen grotte capris. nachzulesen ist all dies in dem im arche-verlag (zürich-hamburg) erschienen band „spaziergänge durch das literarische capri und neapel“. die dottoressa stefanie sonnentag hat es verfasst.

eine wahre fundgrube mehrere jahre lang hat sie mit unglaublicher akribie in neapel und auf capri recherchiert. das buch ist eine fundgrube für alle jene, die neapel und capri mit anderen augen betrachten möchten als mit jenen, durch die der landläufige tourist die welt betrachtet. es ist ein reiseführer der ganz exquisiten art. geschrieben von einer, die kunst und geschichte, die literatur und selbstverständlich auch land und leute kennt, schätzt und liebt.

dafür ging sie fragen nach wie: wer entdeckte capris berühmte blaue grotte, und in welchem hotel vollendete f. scott fitzgerald seinen roman „der große gatsby“? wo hat joseph beuys seine „capri-batterie“ vollendet? weshalb hat goethe, der zweimal in neapel gewesen ist, zweimal capri (buchstäblich) links liegen gelassen (es war die meeresströmung). wo wohnten ingeborg bachmann und hans werner henze in neapel?

der leser erfährt, dass der maler karl wilhelm diefenbach sein atelier in der via roma in marina grande hatte. wir sehen auf einem foto zu beginn des letzten jahrhundert francesco spadaro auf der dortigen piazzetta, der sich als fischer ausgab, dessen stattliche erscheinung vorlage für bilder, postkarten, fotos war. der mann tat’s, um seine familie zu ernähren. wir erfahren, wo friedrich nietzsche, d.h. lawrence und frieda von richthofen auf capri gewohnt haben, was sie dort gemacht, geschaffen haben. stefanie sonnentag verbrachte so manche stunde selbst auf friedhöfen, um zu dokumentieren, welche geistesgrößen hier nach der daseinsqual die letzte ruhe fanden.

auf dem motorrad durch neapel im sommer wird die autorin ihr werk im rahmen einer lesung in schwäbisch gmünd vorstellen. wenn sie wieder einmal ihre heimat besuchen wird, die auch in ihrer neuen heimat „irgendwie immer präsent ist.“ wenn sie auf ihrem motorrad durch die engen gassen neapels rattert, dann kommen ihr zuweilen schon gedanken an die heimischen schwäbischen gefilde. allerdings ist es heute auch so: „wenn ich durch neapel fahr’, dann fühle ich mich daheim.“

vielleicht erscheint ihr dann ihr leben etwas unwirklich. früher hatte sie die alb vor den augen, wenn sie auf die straße trat. heute geht sie in der via concordia morgens auf den balkon, sieht den sonnenüberfluteten golf von neapel und dahinter den vesuv. und jahrelang sah sie auf capri – „ohne dass ich dort gewesen bin.“ und als sie die insel, an deren felsigen gestaden einst das schifflein beinah’ zerschellt wäre, das den deutschen dichterfürsten goethe trug, dann doch endlich besuchte, ging ihr urplötzlich auf, dass capri ... die insel der schriftsteller ist. literatur, lesen, schreiben – und italien, all das war schon ihre sache in der jugend. die 1968 in schwäbisch gmünd geborene stefanie sonnentag ist in mutlangen aufgewachsen. nach dem abitur am parler-gymnasium folgten erste journalistische versuche bei der rems-zeitung als freie mitarbeiterin. sie begann ein studium (kunstgeschichte, wo sie auch promovierte) in stuttgart und mailand. über leute, die sie in italiens industrie-metropole kennen gelernt hatte, kam die verbindung zu neapel. und im süden italiens begann sie denn auch in den neunziger jahren als freie journalistin zu arbeiten – für das ard, für radiosender (sdr und swr1), aber auch für reisemagazine (merian, adac-reisespecials) oder für sonntag aktuell.

kein leichtes leben sicher, aber ganz sicher ein interessantes. da kann es schon mal passieren, dass die frau doktor, die – fast möchte man sagen „wie nicht anders zu erwarten war“ – mit einem italienischen galeristen verheiratet ist, auf recht originelle ideen kommt. für ein süditalien-special verfrachtete sie eine modeltruppe in fünfzigerjahre-klamotten in das sizilianische heimatdorf der modezaren dolce&gabbana. die weggefährten aus der kindheit erzählten geschichten von einst. und man erfuhr nebenbei eine menge über land und leute der umgebung. leute ihrer kindheit und deren land hat sie nicht vergessen. aber „ohne das panorama des golf von neapel kann ich nicht mehr leben.“

helmut bredl, rems-zeitung, 23. april 2003



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